"Electro Melodier", der Titel von Son Volt's zehntem, einmal mehr herausragenden Album, stammt von der Bezeichnung zweier Vintage Gitarrenverstärker aus den Vierziger- und Fünfziger-Jahren, beschreibt aber gleichzeitig auch die Bedeutung eingängiger Melodik für das ansonstern schön erdige, rootsige Songmaterial der Band des unnachahmlichen, charismatischen Singer/Songwriters Jay Farrar. Und in der Tat, der wunderbare, einzigartige, von Jay Farrar's unnachahmlichem Gesang geprägte Americana-/Rootsrock mit den dezenten Folk-, Alternate Country-, Blues- und Soul-Bezügen, nistet sich mit seinem saftigen, vollmundigen, aber dennoch erdigen, gitarrenorientierten Sound ("shimmering" E-Gitarren aller Art, herrliche Baritone Gitarre, Steelguitar, zuweilen ergänzt durch perfekt eingebundene Orgel- und/oder Piano-Klänge) tief in unseren Gehörgängen ein und möchte nicht mehr weichen. Trotz dieser wundervollen, musikalischen Harmonie bewahrt sich die Band stets ihr natürliches, unterschwellig angerautes Ambiente und diesen roughen, durchaus ungeschliffenen Charme. Thematisch und textlich wollte sich Jay Farrar in seinen Songs diesmal deutlich weniger politisch äußern. Das gelingt ihm bei einer Reihe von Songs sehr gut, doch bei einigen Nummern kann er seine politischen und sozialkritischen Beobachten einfach nicht zurückhalten. Das ist auch gut so, zumal Farrar trotz des Chaos der Trump-Jahre, des Rassismus, der globalen Pandemie und der Klima-Problematik auch viel Anlaß zu einem gewissen Optimismus sieht. Sein Songwriting und die Melodien, die er wie selbstverständlich aus dem Ärmel schüttelt, sind einfach von außergeöhnlicher Qualität. Gleich der Auftakt des Albums, "Reverie", ist ein wahrer "Killer"-Song voller Schwung und Vitalität, ausgestattet mit satten, erdigen E-Gitarren, klangvollen Acoustic Gitarren-Riffs, dazu ein paar herrliche, vollmundige Baritone E-Gitarren-Fragmente und eine harmonisch im Hintergrund agierende Orgel. Jay Farrar singt in Bestform, die Melodie ist ein Traum. Das folgende, bärenstarke, das globale Klima thematisierende "Arkey Blue" beginnt mit kernigen, straight rockenden Gitarrenriffs, besticht aber ansonsten mit einem von wunderbar transparenten Gitarren bestimmten, sehr harmonischen Verlauf, wieder mit toller Orgeluntermalung, ehe zum Ende des Songs die rau rockenden Gitarrenriffs zurückkehren. Erneut schön frisch und lebendig kommt der sehr knackig gespielte, riffige, abermals herrlich melodische Rootsrocker "The globe", während die bestechend schöne Roots-/Americana-Ballade "Diamonds and cigarettes" mit herrlicher Steelguitar, vielschichtigen, sehr klangvollen Acoustic- und E-Gitarren und einer geradezu magischen Harmonie glänzt. Eine fantastische Nummer, in der Farrar, wie in dem starken "Lucky ones", seine 25-jährige Ehe reflektiert. Bluesig, rootsig, dreckig, staubig und ein wenig psychedelisch wird's bei dem mit spröder Acoustic Gitarre und halligen E-Gitarren-Klängen instrumentierten, rauen, bedächtigen "War on misery", ehe die Band mit dem famosen, sehr sozialkritischen, zunächst verhalten beginnenden, dann aber mit einem kraftvollen Heartland Rock-Ambiente nach vorn gehenden "Livin' in the USA" einen ordentlich knackigen Gitarren-Rootsrocker vom Allerfeinsten raushaut. Tolle Melodie! Ganz groß sind beispielsweise auch die wunderbare, Steelguitar-getränkte Alternate Country-/Americana-Ballade "Sweei refrain", der kräftige, die Pandemie thematisierende, einen leichten Psychedelic-Vibe andeutende Rootsrocker "These are the times", sowie die staubige, mit vielfältigen Acoustic Gitarren inszenierte, trockene, bluesige Americana-Ballade "Rebetika". Alles, was sich der geneigte Fan von Son Volt wünscht, bekommt er mit "Electro Melodier" zur vollsten Zufriedenheit geboten. Näher an den legendären Uncle Tupelo, aus denen Son Volt (und Wilco) einst hervorgingen, als mit diesem Werk, war die Band schon lange nicht mehr. Ein kleines Rootsrock-/Americana-Masterpiece!
Das komplette Tracklisting:
1. Reverie - 3:35
2. Arkey Blue - 4:18
3. The Globe - 3:38
4. Diamonds and Cigarettes - 3:54
5. Lucky Ones - 5:17
6. War on Misery - 5:07
7. Livin' in the USA - 4:54
8. Someday is Now - 3:33
9. Sweet Refrain - 3:23
10. The Levee on Down - 3:22
11. These Are the Times - 3:09
12. Rebetika - 2:45
13. The Globe / Prelude - 3:37
14. Like You - 4:23
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